Kaufkrafttheorie Die Gleichung geht nicht auf
Wie immer bei Tarifverhandlungen begründen die Arbeitnehmervertretungen ihre Forderungen auch mit dem Kaufkraftargument: Demnach sollen kräftige Lohnerhöhungen erst dem Konsum, dann - weil Kapazitäten fehlen - den Investitionen in der Konsumgüterindustrie und zuletzt der Beschäftigung auf die Beine helfen. Denn neue Maschinen wollen auch bedient werden. Doch diese einfache Rechnung geht nicht auf.
Wie immer bei Tarifverhandlungen begründen die Arbeitnehmervertretungen ihre Forderungen auch mit dem Kaufkraftargument: Demnach sollen kräftige Lohnerhöhungen erst dem Konsum, dann – weil Kapazitäten fehlen – den Investitionen in der Konsumgüterindustrie und zuletzt der Beschäftigung auf die Beine helfen. Denn neue Maschinen wollen auch bedient werden. Doch diese einfache Rechnung geht nicht auf.
Wettbewerbsposition gefährdet
Mit kräftigen Lohnerhöhungen lässt sich die Binnennachfrage keineswegs so ankurbeln, wie es die Kaufkrafttheorie unterstellt. Zum einen kommt nur ein Bruchteil der höheren Löhne in heimischen Läden an. Zum anderen sind höhere Entgelte für die Unternehmen auch mit neuen Kosten verbunden, was letztlich Jobs und damit Kaufkraft kosten kann – obwohl der Einzelne mehr verdient. Kräftige Lohnerhöhungen treiben zunächst einmal die Produktionskosten der Unternehmen nach oben. Das schwächt – mit Blick auf die Industrieunternehmen – deren Wettbewerbsposition auf dem Weltmarkt. Sie verkaufen weniger, die Refinanzierung wird schwieriger. Die Binnennachfrage mag steigen, die Auslandsnachfrage aber geht zurück – ein Nullsummenspiel. Im öffentlichen Sektor ist der internationale Wettbewerbsdruck zwar schwächer. Gleichwohl müssen – vor allem bei den derzeit wachsenden staatlichen Defiziten – die höheren Lohnkosten aufgefangen werden. Der Staat wird also seine Preise und Gebühren anheben. Das Ergebnis: Die Menschen verdienen zwar mehr, haben aber gleichzeitig höhere Ausgaben zu schultern. Ebenfalls ein Nullsummenspiel.
Weniger Jobs – weniger Kaufkraft
Alternativ kann Vater Staat seine Ausgaben auf den Prüfstand stellen. Erfahrungsgemäß wird dann vor allem weniger investiert.
Hinzu kommt: Durch Rationalisierungen und Produktionsverlagerungen an kostengünstigere Standorte gehen hierzulande Arbeitsplätze verloren. Obwohl die verbleibenden Arbeitnehmer mehr in der Tasche haben, schrumpft durch den kostenbedingten Arbeitsplatzabbau die gesamtwirtschaftliche Lohnsumme und damit auch der Konsum. Außerdem regt nur ein Teil der Lohnerhöhung direkt die inländische Konsumgüterproduktion an. Denn das Geld landet überwiegend anderswo. Das zeigt eine einfache Modellrechnung: Würde man zum Beispiel einem Familienvater mit zwei Kindern und einem bisherigen Durchschnittseinkommen von 2.310 Euro brutto im Monat genau 100 Euro drauflegen, bliebe unterm Strich nur gut ein Drittel für den Kauf heimischer Produkte übrig. Abgezwackt wird gleich an mehreren Ecken und Enden: Zuerst holen sich Fiskus und Sozialversicherung gut 40 Prozent der Lohnerhöhung. Die staatlichen Mehreinnahmen führen aber nicht automatisch zu steigenden konsumtiven Staatsausgaben – etwa höheren Renten, mehr Kindergeld oder Sozialhilfe. Sie tragen in Zeiten tiefer Haushaltslöcher allenfalls zu einer niedrigeren Neuverschuldung bei. Vom verbleibenden Nettoeinkommenszuwachs in Höhe von fast 60 Euro legen die Haushalte einen Teil zurück. Im Schnitt landen auf Sparbüchern 6,70 Euro.
Von 100 Euro bleiben 34 Euro
Ein weiterer Teil des zusätzlichen Nettoeinkommens wird für Importgüter ausgegeben. Mit dem Kauf ausländischer Konsumgüter gehen so nochmals im Schnitt 19,40 Euro an den Kassen der heimischen Unternehmen vorbei. Alles in allem bleiben von einer Bruttolohnerhöhung um 100 Euro nur 34 Euro für den Kauf von inländischen Konsumgütern übrig. Bei einem Single sind es wegen der deutlich höheren Steuerbelastung sogar nur noch 28,60 Euro.