Nachhaltigkeitsexpertise in der Chemie: Welche Jobs & Skills suchen wir?
Nachhaltigkeit ist in aller Munde – auch auf dem Arbeitsmarkt. Bewerberinnen und Bewerber suchen gezielt nach Unternehmen, die sich nachhaltig engagieren, worauf die zukünftigen Arbeitgeber mit zahlreichen Schlagworten zu diesem Thema in ihren Stellenanzeigen reagieren. Umgekehrt suchen auch die Unternehmen vermehrt nach Nachhaltigkeitsexpertise.
Aber dominieren „nachhaltige“ Jobs bereits wirklich die Stellenbörsen oder fühlt sich die Nachfrage nach Expertinnen und Experten im Bereich Sustainability nur deshalb so groß an, weil sie sich als Suche nach der Nadel im Heuhaufen entpuppt? Dieser Frage ist der BAVC-Ausschuss Arbeiten 4.0 nachgegangen und hat eine Analyse von Stellenanzeigen in der DACH-Region in Auftrag gegeben.
Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen
Die Analyse belegt, dass die Jobs mit der größten Nachfrage in der chemisch-pharmazeutischen Industrie profilgebend für die Branche sind: Chemikant/innen, Chemielaborant/innen oder auch Prozessingenieur/innen sowie Techniker/innen gehören zu den 20 meistgesuchten Jobs in der Chemie. Gleichzeitig wird deutlich, dass nur wenige Berufe unter den Top 20 einen direkten Bezug zu Nachhaltigkeit aufweisen.
STANDPUNKT: BAVC-Präsident Kai Beckmann
„Die Analyse zeigt auf, wie sich die Nachfrage nach Jobs und Skills mit direktem Nachhaltigkeitsbezug in der Chemie-Branche entwickelt. Unternehmen in der Transformation erhalten damit eine wertvolle Orientierung bei der Rekrutierung und Qualifizierung dringend benötigter Fachkräfte. Ich danke dem BAVC-Ausschuss „Arbeiten 4.0“ für die Initiative und strategische Weitsicht!“
Ganz anders sieht die Betrachtung bei den „Rising-Star-Jobs“ aus, also jenen Jobs, die zwar noch nicht unbedingt zu den Top 20 gehören, aber ein besonders großes Wachstum im Betrachtungszeitraum vorweisen. In dieser Liste wurden gleich elf Berufe identifiziert, deren Anforderungsprofil hauptsächlich Aufgaben im Bereich „Nachhaltigkeit“ beinhaltet, obwohl die Jobtitel das nicht immer vermuten lassen. Auffällig ist vor allem, dass diese Profile mit einer stark wachsenden Nachfrage häufig im Bereich „Beschaffung/Logistik“ zu finden sind. Ein Beweis dafür, dass das 2021 in Kraft getretene Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) große Auswirkungen auf die Personalstrategie und das Recruiting der Chemie-Unternehmen hat. Die Unternehmen stehen hierbei doppelt unter Druck: Das Gesetz findet bereits Anwendung, während die Fachkräfte, die die menschenrechtliche Sorgfalt in den Unternehmen umsetzen sollen, bisweilen noch gar nicht ausgebildet sind.
Unternehmen setzen auf ausgewählte Skills
Auch bei der Suche nach Nachhaltigkeitskompetenzen zeigt sich, dass die Gesetzgebung unmittelbaren Einfluss auf die Arbeitsmarktnachfrage hat. Unter den Top 20 der meistgesuchten Skills in der Chemie-Branche finden sich auffallend oft Kompetenzen, die einen Bezug zum Bereich „Beschaffung/Logistik“ aufweisen. Bei den meistgesuchten Skills ist die Wichtigkeit
nachhaltigen beruflichen Handelns für die Unternehmen deutlich zu erkennen: Zwölf der Top 20-Skills weisen einen konkreten Nachhaltigkeitsbezug auf. Bei den Kompetenzen mit dem größten Nachfragewachstum im Betrachtungszeitraum sind es sogar 17 von 20 identifizierten Skills. Neben Nachhaltigkeitsskills im Bereich „Beschaffung/Logistik“ werden in der Kategorie der „Rising-Star-Skills“ auch weitere nachhaltige Kompetenzen gesucht, darunter zum Beispiel Skills im Bereich „Energy Efficiency“ oder „Recycling“. Zudem wurden im Betrachtungszeitraum auch neue nachhaltige Skills identifiziert, die vorher nicht gesucht wurden, zum Beispiel: Sustainable Agriculture, Environmentalism oder Sustainable Engineering.
Unternehmensgröße spielt (k)eine Rolle
Um herauszufinden, ob die Nachfragesteigerung nur Großkonzerne oder auch den Mittelstand betrifft, wird in der Analyse auch nach Betriebsgröße gefiltert. Dabei bestätigt sich noch einmal die Vermutung, dass es sich bei der gestiegenen Nachfrage nach Nachhaltigkeitsexpertinnen und -experten insbesondere um eine Auswirkung des LkSG handelt: Während nur 39 Prozent der Unternehmen mit über 5.000 Beschäftigten vor 2021 nach Profilen suchten, denen konkrete Nachhaltigkeitsaufgaben zugeordnet werden konnten, sind es nach Inkrafttreten des Gesetzes 100 Prozent der Unternehmen.
Spannend ist auch zu sehen, dass selbst Unternehmen mit weniger als 1.000 Beschäftigten, die noch nicht unmittelbar vom Gesetz betroffen sind, seit Inkrafttreten vermehrt Nachhaltigkeitsjobs ausschreiben. Das beweist einmal mehr, dass sich politische Initiativen nicht immer nur auf die adressierten Unternehmen auswirken. Auch andere Betriebe können indirekt betroffen sein und sollten die Gesetzgebungsverfahren daher im Auge behalten.
An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass sich mit dem Entwurf zur „Corporate Sustainability Due Diligence Directive“ (CSDDD) eine europäische Richtlinie anbahnt, die die Situation noch einmal verschärfen könnte, denn dann suchen nicht nur die Unternehmen mit Standorten in Deutschland auf Nachhaltigkeit spezialisierte Fachkräfte, sondern ganz Europa.
Nachhaltigkeitskompetenzen brauchen alle
Die Ergebnisse der Analyse zeigen, dass sich die Nachfrage nach Nachhaltigkeitsjobs gegenwärtig fast ausschließlich auf den Bereich „Beschaffung/Logistik“ konzentriert. Darüber hinaus haben die Unternehmen aber erkannt, dass eine allein auf Nachhaltigkeit spezialisierte Fachkraft die Transformation nicht bewältigen kann. Sie gehen daher verstärkt auf die Suche nach nachhaltigen Skills, die sie in bereits bestehende Jobprofile integrieren. Neben der Ausbildung einzelner Expertinnen und Experten wird es also zunehmend wichtig sein, Nachhaltigkeitskompetenzen auch in der breiten Belegschaft zu verankern. Hierauf zahlen bereits Initiativen wie zum Beispiel die neue Standardberufsbildposition „Umweltschutz und Nachhaltigkeit“ ein: Diese wird integrativ in allen dualen Ausbildungsberufen vermittelt und soll die Jugendlichen zu nachhaltigem Handeln im beruflichen Kontext befähigen.
Infos zur Studie
Die vom BAVC in Auftrag gegebene Analyse von Nachhaltigkeitsjobs und -skills ist in Zusammenarbeit mit HR Forecast entstanden und wird in Kürze veröffentlicht. HR Forecast ist einer der führenden Dienstleister im Bereich People Analytics. Gemeinsam haben wir auch den Future Skills Report Chemie entwickelt – eine Trendanalyse, die über das Thema Nachhaltigkeit hinaus zukünftig benötigte Jobs und Skills für die Branche identifiziert.