Bericht aus Berlin: Bundesregierung im Wahlkampfmodus
Der Burgfrieden der Regierungsspitzen zu Beginn der politischen Sommerpause hat keine vier Wochen gehalten. Angetrieben durch die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen setzen die Regierungsparteien verstärkt auf Profilierung. Mühsam ausgehandelte Kompromisse werden umgehend wieder in Frage gestellt. Dabei braucht es nun aber zügig eine Entlastung der Wirtschaft. Die Bundesregierung muss schleunigst wieder handlungsfähig werden und endlich die Weichen richtig stellen.
Wachstumsinitiative bringt keine Wende
Das angekündigte Wachstumspaket ist ein zaghafter Schritt in die richtige Richtung – mehr aber auch nicht. Die Ampel tut zu wenig für mehr Investitionen und Innovation. Das wochenlang verhandelte Paket wirkt nicht als Aufbruch, sondern mehr wie die Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners. Zwar sind die verbesserten steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen ein richtiger Schritt und die Pflicht zu einem jährlichen Bürokratieabbau-Gesetz im Bund kann ein sinnvolles Instrument sein. Entscheidend wird aber sein, auf allen Ebenen mehr Entlastung und Vereinfachung und nicht mehr Bürokratie und zusätzliche Belastungen zu schaffen. Von dieser Erkenntnis sind Teile der Bundesregierung aber noch weit entfernt.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil ist inzwischen bereit, von der Schriftformerfordernis abzurücken und dieses als Bestandteil des Bürokratieabbaugesetz IV aufzugeben. Sein Ministerium arbeitet aber bereits an neuen bürokratischen Vorschriften zur Tariftreue und zum Beschäftigtendatenschutz. Beide Reformen sollen im Herbst vorgestellt und bis zum Ende dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht werden.
Bürokratieaufbau geht weiter
Auch die Chemie-Arbeitgeber setzen sich für die Stärkung der Tarifbindung ein. Das haben sie gerade mit ihrem aktuellen Tarifabschluss bewiesen. Das von Bundesarbeitsminister und Bundeswirtschaftsminister geplante Tarifpaket – inklusive Tariftreueversprechen bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Einführung des digitalen Zugangsrecht der Gewerkschaften zum Betrieb – ist aber aus Sicht unserer Branche weder notwendig noch hilfreich.
Vielmehr ist zu befürchten, dass das Tariftreuegesetz weiteren Bürokratieaufbau verursachen und das Zugangsrecht, je nach Ausgestaltung des Gesetzes, zusätzliche Anpassungen in den Unternehmen der Branche erfordern werden. Gleiches gilt für die Reform zum Beschäftigtendatenschutz. Unter dem Vorwand einer fehlenden Flexibilität aufgrund der Datenschutzgrundverordnung reichen die Pläne des Arbeitsministers von Fallgruppen für die datenschutzrechtliche Einwilligung im Beschäftigungsverhältnis über die Erweiterung der Mitbestimmung bei datenschutzrechtlichen Fragen bis hin zur Regulierung von KI. Das lähmt die Prozesse in Unternehmen und führt zu einem weiteren Wettbewerbsnachteil im internationalen Vergleich.
Aber auch Bundesfamilienministerin Lisa Paus arbeitet an einem weiteren Bürokratiemonster. Mit der Umsetzung der EU-Lohntransparenzrichtlinie plant sie eine Überarbeitung des aktuellen Entgelttransparenzgesetzes. Neue Prüfaufträge und Offenlegungspflichten sollen für größere Unternehmen verpflichtend werden. Die Umsetzungsfrist für das Gesetz endet erst im Sommer 2026. Das Ministerium strebt aber die Einführung noch in dieser Legislaturperiode an.
Pragmatische Umsetzung der EU-Lieferkettenrichtlinie
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck konnte sich mit seiner ursprünglichen Forderung nach einem Aussetzen des nationalen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) innerhalb der Bundesregierung nicht durchsetzen. Im Rahmen der Wachstumsinitiative hat sich diese aber darauf verständigt, die Europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) noch in dieser Legislaturperiode 1:1 durch Änderung des LkSG „so bürokratiearm wie möglich“ umzusetzen. Künftig würden dadurch weniger als 1.000 Unternehmen direkt erfasst. Alle Pflichten aus der CSDDD, auch die Regelungen zur zivilrechtlichen Haftung, werden außerdem erst zum spätesten europarechtlich vorgeschriebenen Zeitpunkt verbindlich. Die Chemie-Arbeitgeber begrüßen diese Einigung ausdrücklich. Die Bundesregierung ist nun aufgerufen, das Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des LkSG zeitnah einzuleiten sowie die notwendigen untergesetzlichen Vorgaben zu erlassen.
Rentenpolitik weiter mit falschem Ansatz
Das Rentenpaket II der Bundesregierung ist hingegen ein offensichtliches Wahlgeschenk, das im Koalitionsvertrag verankert ist. Mit ihm nimmt die Bundesregierung gerade nicht die notwendigen Reformschritte zur Stabilisierung der Rentenversicherung in Angriff. Im Gegenteil: Die Festschreibung des Rentenniveaus auf 48 Prozent als Mindestniveau ist eine massive Leistungsausweitung, die zu weiteren Beitragssteigerungen führt. In der vorgeschlagenen Form ist sie damit das bisher teuerste Sozialgesetz in diesem Jahrhundert.
Aus Sicht der Chemie-Arbeitgeber sollten stattdessen die Leistungsausweitungen der Vergangenheit („Mütterrente“, „Rente mit 63“) rückgängig gemacht werden. Auch müsste die Regelaltersgrenze nach dem Anwachsen auf das Alter 67 weiter steigen, wenn sich die Lebenserwartung erhöht.
Aber zumindest geht die inzwischen ebenfalls vorgelegte Reform des Betriebsrentenstärkungsgesetzes mit seinen geplanten Verbesserungen am Sozialpartnermodell der betrieblichen Altersversorgung in die richtige Richtung. Obwohl der Entwurf noch an einigen Stellen nachgebessert werden muss, ist dieses Paket zu begrüßen.
Vorbereitungen zur Bundestagswahl 2025
Die Chemie-Arbeitgeber setzen sich im Schulterschluss mit ihren Mitgliedsverbänden und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) für umfassende Entbürokratisierung und bessere gesetzliche Rahmenbedingungen ein. Zu den aktuellen Gesetzgebungsverfahren führen wir daher weitere Lobbygespräche und bringen unsere Positionen aktiv bei den Parteien im Vorfeld zur Bundestagswahl am 28. September 2025 ein.