Chemie³-Praxisguide Nachhaltigkeitsberichterstattung: Wesentlichkeitsanalyse und Strategie
Ob “Dickicht” oder “Dschungel”: Selten werden die Anforderungen nach der Nachhaltigkeitsberichterstattungsrichtlinie CSRD und ihren Berichterstattungsstandards, den European Sustainability Reporting Standards (ESRS), als einfach nachvollziehbar und umsetzbar beschrieben. Um das zu ändern, hat unsere Nachhaltigkeitsallianz Chemie³ den nächsten Baustein des Praxisguides Nachhaltigkeitsberichterstattung erarbeitet. Im Fokus steht dieses Mal die doppelte Wesentlichkeitsanalyse.
Warum die Wesentlichkeitsanalyse so wichtig ist
Bei der Vorbereitung des Nachhaltigkeitsberichts nach der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) ist die doppelte Wesentlichkeitsanalyse das Herzstück. Sie entscheidet, worüber Unternehmen berichten müssen (damit letzten Endes auch über den Umfang des Berichts) und gibt gleichzeitig Aufschluss darüber, welche Nachhaltigkeitsthemen für die spezifischen Unternehmen kurz-, mittel- oder langfristig am relevantesten sind. Dass ein solcher Prozess nicht nur aufwändig ist, sondern auch gut gemacht sein sollte, versteht sich von selbst.
Das “doppelte” an der doppelten Wesentlichkeitsanalyse ist im Grunde genommen irreführend, es geht vielmehr um “entweder oder”: Es werden sowohl die Auswirkungen der Geschäftstätigkeiten auf Mensch und Umwelt (auch „inside-out-Perspektive“ genannt) bezüglich ihrer Wesentlichkeit bewertet als auch die Auswirkungen von Nachhaltigkeitsaspekten auf den Geschäftserfolg in Form von finanziellen Chancen und Risiken („outside-in-Perspektive“). Wenn Wesentlichkeit nach einer Perspektive zu bejahen ist, reicht das aus.
Schritt für Schritt ...
Die Durchführung der doppelten Wesentlichkeitsanalyse erfolgt in drei Schritten: Im ersten Schritt werden die rechtliche Betroffenheit und das Umfeld des Unternehmens ermittelt. Insbesondere seine Stellung in der Wertschöpfungskette, seine Kernlieferanten, Hauptkundengruppen oder Kapitalgeber gilt es zu identifizieren.
Die systematische Analyse des unternehmensspezifischen Kontextes stärkt das Verständnis für das eigene Geschäftsmodell und die eigenen Stakeholder. Apropos Stakeholder: Ihre Interessen und Sichtweisen sind wichtig. Unternehmen müssen daher dafür sorgen, dass sie zumindest mittelbar eine Rolle spielen.
... zur Wesentlichkeit
Im zweiten Schritt stehen die Ermittlung der Auswirkungen, Risiken und Chancen im Fokus. Geneigte CSRDler nutzen hierfür den Terminus “IROs” (vom englischen impacts, risks and opportunities). IROs zu ermitteln, die das Unternehmen betreffen könnten, sie zu validieren, spezifizieren und aufzubereiten, ist ein sprichwörtliches dickes Brett.
Neben der Handlungsempfehlung im Leitfaden unterstützen wir die Mitgliedschaft mit zwei chemie-spezifischen Tools: dem “Excel-Tool zur Identifizierung und Bewertung von IROs” und dem Excel-Tool “branchenspezifische IROs”. In den Tools finden Sie nicht nur Hilfestellungen, sondern auch Besonderheiten der Chemie-Industrie in ökologischer und sozialer Hinsicht.
Im folgenden letzten Schritt wird die Wesentlichkeitsbewertung vorgenommen, in der beispielsweise zum Tragen kommt, wie groß Risiken oder Chancen sind oder wie hoch ihre Eintrittswahrscheinlichkeit in welchem Zeitraum ist. Das Ergebnis des Prozesses sollte folgende These bestätigen:
“Wichtig” ist nicht immer “wesentlich”
Als Unternehmen beschäftigen Sie viele wichtige Themen. Das heißt jedoch nicht, dass Sie über alle “wichtigen” Themen auch Bericht erstatten müssten. Im Gegenteil: Wenn Unternehmen über alles Bericht erstatten würden, was sie Wichtiges tun, würden sie nicht nur ihre knapp bemessenen Ressourcen verschwenden; man könnte ihnen zudem auch eine unzureichende Priorisierung nachsagen. Auch wenn es Mut erfordert, ist die Aufgabe der Unternehmen klar: Sie müssen die Wesentlichkeit im Einzelfall nach der CSRD prüfen - und nicht alles, was wichtig ist, ist auch “wesentlich” in diesem Sinne.
Und wo Sie als Unternehmen schon dabei sind, sich umfangreich mit sich selbst zu beschäftigen: Haben Sie schon einmal überlegt, die Zahlen, Daten und Erkenntnisse für mehr zu nutzen als “nur” für die Nachhaltigkeitsberichterstattung? Das führt uns zu:
CSRD meets Strategy!
Da eine gut gemachte Wesentlichkeitsanalyse viele Rahmenbedingungen und Gegebenheiten des Unternehmens sichtbar macht, bietet es sich an, sie als Grundlage für eine Nachhaltigkeitsstrategie zu verwenden. Natürlich kann die Nachhaltigkeitsstrategie auch in die Unternehmens- oder Konzernstrategie integriert werden. So oder so: Wenn Sie die Chancen nutzen, die sich Ihnen bieten, dann profitieren Sie und Ihre Stakeholder auch von Prozessen, die Sie ohnehin machen müssen. Das ist zumindest ein Trostpflaster im Regulierungsdickicht.
Profitieren Sie von der Expertise anderer
Bevor Sie sich alleine auf den Weg machen, um die “wilden Tiere” in der CSRD und ihren Berichterstattungsstandards ESRS zu bekämpfen oder domestizieren zu wollen, haben wir einen Vorschlag: Nutzen Sie das Wissen und die Erfahrung anderer. Der Chemie³-Praxisguide wird von den Chemie³-Allianzpartnern, also BAVC, IGBCE und VCI, zusammen mit der Nachhaltigkeitsberatung fors.earth erarbeitet.
Unterstützt werden wir dabei von Chemie-Unternehmen, deren Betriebs- und Aufsichtsräten, die ihre Expertise und Erfahrungen mit uns teilen. Dafür sind wir sehr dankbar und hoffen, dass es Ihnen dabei hilft, Ihren Berichterstattungsweg etwas weniger holprig zu gestalten.
Info: Am 4. Juni 2025 findet die Fachveranstaltung „Pflichten erfüllen, Chancen nutzen, Zukunft gestalten“ zur Nachhaltigkeitsberichterstattung in Frankfurt am Main statt. Außerdem sind verschiedene Werkstattgespräche zur Nachhaltigkeitsberichterstattung geplant. Weitere Infos folgen - unter anderem auf Linkedin.