Reformstau: Sozialabgaben gefährden Wettbewerbsfähigkeit
Steigende Sozialabgaben erhöhen die Arbeitskosten und gefährden damit die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Für sich genommen mag jede einzelne Anhebung tragbar sein. Aber in Summe wird sie in einem relativ kurzen Zeitraum zu einer enormen Mehrbelastung für Beschäftigte und Arbeitgeber. Noch 2022 lagen die Sozialabgaben bei 40 Prozent des Bruttolohns. Aktuell ist mit 42,5 Prozent ein Rekordwert erreicht. Ohne Reformen dürften die Abgaben bereits in fünf Jahren knapp 45 Prozent betragen, 2041 die 50-Prozent-Grenze durchbrechen, und sie würden danach weiter in Richtung 60 Prozent steigen, wenn die Politik nicht handelt. (Quelle: IGES Institut, Studie im Auftrag der DAK, 2025)
Dies belastet Unternehmen und Arbeitnehmer gleichermaßen. Bei kurzfristig fixen Bruttolöhnen und steigenden Beitragssätzen muss der höhere Arbeitgeberanteil zusätzlich erwirtschaftet werden. Die Folge sind höhere Lohnstückkosten, die die preisliche Wettbewerbsfähigkeit schwächen. Reduzierte Netto-Einkommen für Arbeitnehmer wirken sich wiederum negativ auf die Konsumnachfrage aus. Sinkende Netto-Einkommen ziehen Forderungen nach höheren Bruttolöhnen nach sich, die die Arbeitskosten weiter erhöhen. Gleichzeitig wechseln die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand. Damit steigen die Sozialversicherungskosten, während die Lücke auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr durch nachfolgende Jahrgänge geschlossen werden kann.
Wirtschaftspolitische Impulse reichen nicht aus
Mit dem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit ist das Geschäftsmodell der deutschen Volkswirtschaft ins Wanken geraten. Der Kurswechsel der neuen Bundesregierung im 100-Tage-Programm mit dem Ziel einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik mit steuerpolitischen Impulsen, besseren Produktionsbedingungen und der Förderung von Investitionen ist ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings begünstigen diese Impulse Investitionsentscheidungen nur, wenn auch die anderen Rahmenbedingungen stimmen. Dazu gehört eine geringere Kostenbelastung in den sozialen Sicherungssystemen durch eine strikte Ausgabendisziplin. Makroökonomische Simulationen zeigen, dass die Wirtschaftsleistung bei ungebremst steigendem Finanzierungsbedarf in den sozialen Sicherungssystemen über das kommende Jahrzehnt rund ein halbes Prozent unter dem Niveau liegen wird, das ohne Anstieg der Abgabenlast möglich wäre. Nicolas Ziebarth vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) verweist auf Studien, die schätzen, dass der Anstieg der Sozialabgaben um einen Prozentpunkt 50.000 bis 100.000 Arbeitsplätze kostet – pro Jahr.
Ein Kurswechsel hin zu einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik und strikte Ausgabendisziplin in den Sozialversicherungssystemen sind deshalb notwendig, um Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung zu sichern. (Quelle: IW-Policy Paper 3/2025)
Es gilt: Nur mit einer starken Wirtschaft ist eine starke Sozialversicherung möglich.
Perspektive der Bürger bei steigenden Sozialbeiträgen
Die Akzeptanz für höhere Sozialversicherungsbeiträge ist bei den Bürgern und Erwerbstätigen nur eingeschränkt vorhanden. Im Gegenteil: Die Entwicklung forciert eine Gerechtigkeitsdebatte, wenn Erwerbstätige durch hohe Abgaben belastet werden. Entlastung erwarten nicht nur inländische Erwerbstätige - so würde Deutschland gleichzeitig für Fachkräfte aus dem Ausland attraktiver werden.
Mut zu echten Veränderungen fehlt
Stattdessen wird die Botschaft an die Unternehmen gesendet, dass die Sozialbeiträge ungebremst steigen werden. Statt rascher Umsetzung von Reformvorhaben werden neue Arbeitskreise gegründet. Um das Beitragssatzziel von insgesamt 40 Prozent einhalten zu können, sind Einschnitte in das Leistungsversprechen der Sozialversicherungssysteme unvermeidbar. Für großzügige Versprechen in der gesetzlichen Alterssicherung oder Leistungsausweitungen in der medizinischen und pflegerischen Versorgung besteht kein Spielraum. Ein weiterer Ausbau der Mütterrente oder die Festschreibung des Rentenniveaus klingen nach mehr Gerechtigkeit, verteilen in Wahrheit aber Milliardensummen mit der Gießkanne, an Gutsituierte genau wie an wirklich Bedürftige.
Vorschläge für Reformen in der Alters- und Krankenversicherung
Für eine Reform der Rentenversicherung liegen bereits viele Vorschläge auf dem Tisch. Bisher profitieren von der sogenannten Rente mit 63 nach 45 Versicherungsjahren (faktisch beginnt diese abschlagsfreie Altersrente heute erst mit 64 Jahren) vor allem gutverdienende und oft noch fitte Fachkräfte. Zielgerichteter wäre, den vorzeitigen Renteneintritt nach 45 Versicherungsjahren auslaufen zu lassen. Das Eintrittsalter für die Regelaltersrente muss zudem nach dem Anwachsen auf das Alter 67 weiter steigen, wenn sich die Lebenserwartung erhöht. Bei der geplanten „Aktivrente“ sind dagegen Mitnahmeeffekte durch diejenigen zu befürchten, die ohnehin länger arbeiten wollen.
Noch dringender ist eine Reformagenda für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung. Nur mit einer stabilitätsorientierten Ausgabenpolitik statt Ausweitung von Leistungen im Gesundheits- und Pflegebereich und einer effizienteren, zielgerichteteren und bürokratieärmeren Gesundheitsversorgung mit sinnvoller Digitalisierung kann eine stabile Finanzierung mit konstanten Beitragsätzen erreicht werden. Die Reform der Notfallversorgung muss nun rasch umgesetzt werden. Die hohe Zahl der Krankenkassen muss auf den Prüfstand.
In der gesetzlichen Krankenversicherung sollte zudem darüber nachgedacht werden, ob zum Beispiel auch gesetzlich Versicherte stets ihre Abrechnungen erhalten. So entsteht ein Kostenbewusstsein und eine gestärkte Eigenverantwortung. Ansätze wie das Primärarztmodell könnten helfen, unnötige Mehrfachuntersuchungen zu vermeiden. Mehr Autonomie für Krankenkassen würde es ermöglichen, unterschiedliche Tarife anzubieten und dafür Rabattverträge mit einzelnen Ärzten, Kliniken und anderen Leistungserbringern zu schließen: Wer nur solche Versorgungsnetzwerke nutzt, zahlt dann auch geringere Beiträge als jemand, der weiter die völlig freie Arztwahl möchte.
Gleichzeitig ließen sich Zuzahlungen gezielter gestalten: Leistungen mit hohem Nutzen wie Impfungen oder Vorsorgeuntersuchungen könnten davon ausgenommen werden. Am Ende braucht es mehr Effizienz und Zielgenauigkeit bei den Ausgaben – und den Mut, auch unbequeme, aber notwendige Entscheidungen zu treffen.