Ist die Vertrauensarbeitszeit am Ende?
Arbeitszeiterfassung
Das deutsche Arbeitszeitrecht kennt bisher keine Arbeitszeiterfassung, sofern bis zu acht Stunden täglich gearbeitet wird. Erst ab der neunten bis zur zehnten Stunde ist die Arbeitszeit zu notieren; mehr als zehn Stunden dürfen es pro Tag nicht sein. Im Jahr 2019 stellte der EuGH die Notwendigkeit eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems fest, mit dem tägliche Arbeitszeit (auch die bis zu acht Stunden) gemessen werden kann. Das BAG urteilte 2022, dass sich aus dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) schon heute die Verpflichtung für Arbeitgeber ergebe, die komplette Arbeitszeit der Beschäftigten zu erfassen.
Das Bundesarbeitsministerium (BMAS) hat 2023 einen Referentenentwurf erarbeitet, mit dem das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) geändert werden soll. Der Entwurf sieht eine massive Ausweitung der geltenden Aufzeichnungspflichten vor; nutzt jedoch europarechtliche Spielräume nicht und ignoriert die längst überfällige praxisgerechte Modernisierung des ArbZG. Immerhin enthält der Entwurf eine seit langem geforderte Tariföffnungsklausel ausschließlich für tarifgebundene Unternehmen zur Stärkung der Tarifbindung. Nicht akzeptabel: Die Vorschläge bedrohen bewährte flexible Arbeitszeitmodelle, insbesondere die Vertrauensarbeitszeit. Nach dem Entwurf sollen Arbeitgeber auf Kontrollen verzichten, müssen aber durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, dass Verstöße gegen gesetzliche Bestimmungen zu Dauer und Lage der Arbeits- und Ruhezeiten bekannt werden. Zur Aufzeichnung der Arbeitszeit bleiben Beschäftigte verpflichtet. Damit ist die heute weit verbreitete Vertrauensarbeitszeit am Ende, denn eine vollständige Erfassungspflicht von Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit lässt keinen Platz mehr für Vertrauen. Das BMAS setzt Vertrauensarbeitszeit mit Gleitzeit gleich und wirft betrieblich bestens bewährte Systeme um Jahrzehnte zurück.
Fakten
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Das ArbZG muss dringend modernisiert werden; Flexibilisierungen der Höchstarbeits- und Ruhezeiten sind überfällig.
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Eine minutengenaue Arbeitszeiterfassung ist ein Rückschritt für flexible Arbeitszeitmodelle. Die etablierte Vertrauensarbeitszeit steht vor dem Aus. Eine falsche Arbeitszeiterfassung zieht behördliche oder arbeitsrechtliche Sanktionen für Arbeitgeber und Beschäftigte nach sich.
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Mit einer solchen Bürokratie wird die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Industriestandorte zusätzlich verschlechtert.
Unser Standpunkt
Keine Aufzeichnungspflicht ab der ersten Arbeitsminute
Dem zunehmenden Arbeitskräftemangel kann nur mit einer Arbeitszeitflexibilität begegnet werden und nicht mit kleinlicher Dokumentation jeder Arbeitsminute.
Tarifbindung stärken
Tariföffnungsklauseln für tarifgebundene Unternehmen bieten einen attraktiven Gestaltungsspielraum und stärken die Tarifbindung. Die tarifliche Öffnung muss aber Vereinbarungen eines flexiblen und vertrauensbasierten Arbeitssystems ermöglichen. Hier besteht erheblicher Änderungsbedarf des Entwurfs.
Vertrauensarbeitszeit erhalten
Arbeitszeit muss weiter leicht an tatsächliche Bedarfe anpassbar sein. Der Entwurf verhindert dies. Die Sozialpartner können sinnvolle Leitplanken für diese Spielräume schaffen - die Chemie-Sozialpartner haben damit längst begonnen.
EU-Flexibilisierungsspielräume nutzen
Der Gesetzgeber muss die Flexibilisierungsspielräume der EU-Arbeitszeitrichtlinie und der EuGH-Rechtsprechung nutzen und darf nicht zusätzliche deutsche Hürden aufbauen.
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